Robert Brambora
Alternate Endings
14.10. -13.11.2022
Zwar ziehen Narrative durch diese Welt, wie stapfende Gnome über einen in Morast getränkten As- phalt, erzählen von fernen Dystopien, essayistisch, in gewaltigen Bildwelten und mit Werbeunterbre- chungen. Doch verlieren sich ihre Blitzlichter im jetzigen Nebel eines sich-selbst-genügenden roten Smogs. Falls ich in diesem Leben noch einmal deportieret werden sollte, wüsste ich: Erst gibt es Dinge, die das Zweite schon wollen, auch wenn man das gar nicht will. Was treibt mich in diese Verbundenheit. Warum will ich nachts das Recht auf mein Elend haben. Warum kann ich nicht frei sein.
Wieso zwinge ich das Lager, mir zu gehorchen. Heimweh. Als ob ich es bräuchte.1 Wir sehnen uns nach diesem Gefühl, das sich wie ein schützender Film um uns legt. Als würde unsere Haut mit einer weichen, warmen Schicht bedeckt, die es wundersam erlaubt die Vehemenz des Windes im Gesicht zu fühlen.
Ein Wähnen in behaglicher Geborgenheit als täuschend homogenisierte Masse, ein nachlässig gerührter Brei. Seine Klumpen bergen versteckte Wüsten. Trockene Krümel, deren Sinn und Zweckmäßigkeit sich durch das Fehlen der Milch als obsolet manifestiert. Die Abtrünnigen einer Gesellschaft sind nicht in einem ‚Außen’ oder ‚Anderen‘ ins Abseits verlagert. Sie sind im Innersten vorhanden; in Teigklümpchen verkapselt und durch den Mangel einer Zutat als ungenießbar deklariert.
In manchen mittelalterlichen Heilmittel- Ratgebern und auch der Reisebeschreibung eines Kapitäns eines britischen Handelsschiffes nach Neu-Seeland wird empfohlen, die Nähe bestimmter ausgezeichneter und allein für sich, meist in vollkommener Isolation lebender Personen zu suchen.2 Verstehen Sie, was es bedeutet, wenn der Schmalz den Wind passieren lässt?* Wofern Sie sich entschließen, einzuwilligen in meinen Plan, mit mir das3 Menschenvolk zu fliehn, wenn Sie gesonnen sind, mir in die Einsamkeit sogleich zu folgen, wo ich fortan leben will: will ich Ihnen raten: Verweilen Sie für einen Moment in der Dunkelheit.
Fernab der Hauptstraße: Dort wo man die Lichter sehen kann, weil sie einen selbst nicht sehen können. Als würden sie sich in ein tiefes Loch setzen oder hineinfallen, es ist klamm und jeder Ton bleibt dumpf. Ich selbst verbrachte ein ganzes Jahr unter der Erde, neben einer Straße, auf der die Autos nur bei Nebel fuhren. In der Dunkelheit sah ich viel. Auch die Menschen sah ich. All jene, deren Füße über Pfennige wateten, die weggeworfen wurden, um des vermeintlichen Glückes Willen. *Ihre Bewegungen waren langsam und gesetzt, und ihre braunen, erdigen Kleider verliehen ihnen eine Ähnlichkeit mit großen Erdkäfern, die mit dem Vergraben ihrer Nachkommenschaft beschäftigt sind.4 Stoische Schleifen eines Vorgangs, die um ein Zentrum kreisen, das keines ist. Denn, sie glauben es vielleicht nicht, doch der statuarische Eindruck der Dunkelheit ist ein Trug. Tatsächlich bewegt sie nicht nur sich selbst, sondern auch alles andere. Aus der Tiefe blickend konnte ich Wesen erkennen, deren Gestalt sich nicht über ihre Form definierte, sondern über ihr Gefühl.
Ich sah diesen Mann, er stand da und tat nichts. Doch sein Nichtstun tat er mit solcher Kraft, dass ich wusste, es musste ihn große Anstrengung kosten. Plötzlich drehte er sich und mir gelang, an sei- ner Schuhsohle vorbei, seine Stirn zu erspähen. Und dann haschte er mit einem leichten Satz einen verspäteten Schmetterling, der gerade vorbei flatterte, und schluckte ihn befriedigt hinunter.5 Nun sitze ich hier und spreche mit einem Staubsauger. Unbeabsichtigt berührt mein Zeh seinen Sensor und ein weißes Licht termi- niert meinen Abgang.
1 Herta Müller, Atemschaukel, 239.
2 Clemens Setz, Indigo, 137.
3 Moliere, Der Menschenfeind, 58.
4 Boris Vian, Der Herzausreißer, 275.
5 Boris Vian, Der Herzausreißer, 162.
Luisa Schlotterbeck
Fotos: ©Lukas Giesler/Zentrale